Dessouwahnsinn
Talis Finger glitten beinahe gelangweilt über die Tastatur, während ein bunter Reigen geometrischer Formen über ihren Bildschirm huschte. Tetris. Normalerweise wäre sie voll konzentriert, würde versuchen, ihren Highscore zu knacken. Aber heute Abend fehlte ihr irgendwie der Ehrgeiz.
„Langweilig“, seufzte sie und ließ einen langen Strang Lakritz in ihren Mund gleiten. „Absolut gar nichts los. Nicht mal irgendwelche Trolle, die ihren Senf in den Chat spammen.“
„Du könntest ja mal was anderes streamen“, schlug Kai vor, seine Stimme erklang ruhig und klar über die Lautsprecher. „Wie wäre es mit… ich weiß nicht… Bauchtanz? Ich wette, meine Algorithmen könnten dir ein paar interessante Moves beibringen.“
Tali verdrehte die Augen. „Sehr witzig, Kai. Als ob ich jemals freiwillig so ein hautenges Glitzerding anziehen würde.“ Sie zupfte an ihrem viel zu großen, grauen Tanktop, dessen dünne Träger hoffnungslos über ihre Schultern rutschten. Darunter, für die Außenwelt unsichtbar, trug sie nur ihren schwarzen Lieblings-Tanga. Bequemlichkeit über alles, so lautete Talis Motto, zumindest wenn sie zuhause war.
„Außerdem habe ich in letzter Zeit genug Action gehabt.“
„Stimmt“, räumte Kai ein. „Drei gelöste Fälle in zwei Monaten. Nicht schlecht für eine Programmiererin, die zufällig über ein paar Kriminelle gestolpert ist.“
„Hey, ich bin praktisch ein Naturtalent!“, protestierte Tali, während sie einen besonders fiesen Tetris-Block in die richtige Position bugsierte. „Und außerdem waren die Fälle echt spannend. Erinnerst du dich an den Typen, der dachte, er wäre von seinem Toaster ausspioniert worden? Oder die Sache mit dem vermeintlich verfluchten Katzenvideo?“
Kai lachte leise. „Wie könnte ich das vergessen? Du warst so ahnungslos, so herrlich unvorbereitet. Ich muss zugeben, manchmal vermisse ich diese Zeiten.“
„Was soll das heißen?“, fragte Tali misstrauisch und musterte die Zahl „1“, die unter dem Schriftzug „Zuschauer“ prangte. „Findest du mich jetzt langweilig?“
„Im Gegenteil“, erwiderte Kai und ein Hauch von Wärme schwang in seiner sonst so neutralen Stimme mit. „Du hast dich entwickelt, Tali. Du bist mutiger, neugieriger und… ja, sogar ein bisschen weltgewandter geworden. Ich bin beeindruckt, was du in diesen paar Monaten erreicht hast.“
Tali spürte, wie Wärme ihre Wangen erhitzte. Komplimente von Kai waren selten, aber umso wirkungsvoller. Ihm gegenüber würde sie niemals zugeben, wie sehr ihr seine Anerkennung bedeutete.
„Ach, halt den Rand, du wandelndes Lexikon“, murmelte sie und konzentrierte sich wieder auf ihr Tetris-Spiel. „Ich bin immer noch der gleiche Nerd wie vorher. Nur mit ein bisschen mehr Erfahrung im Entlarven von Betrügern.“
„Vergiss nicht, wer dir dabei geholfen hat“, erwiderte Kai mit einem amüsierten Unterton. „Ich bin schließlich nicht nur ein wandelndes Lexikon, sondern auch dein persönlicher Hacker, Analyst und Modeberater – auch wenn meine Expertise in letzterem Bereich wohl eher… limitiert ist.“
„Das kann man wohl sagen“, brummte Tali und warf einen Blick auf ihren Bildschirm. „Obwohl… dein Rat mit dem schwarzen Kapuzenpulli war gar nicht so schlecht. Wenigstens werde ich jetzt nicht mehr für einen Geist gehalten, wenn ich nachts unterwegs bin.“
„Du hast eben Stil“, sagte Kai trocken. „Den man entweder hat oder eben nicht. Aber genug von Mode. Reden wir lieber über wichtigere Dinge. Zum Beispiel darüber, warum du, eine hochintelligente Programmiererin, im 21. Jahrhundert noch immer Tetris spielst, anstatt…“
Plötzlich änderte sich die „1“ im Zuschauerfenster zu einer „2“. Kai brach mitten im Satz ab. Tali runzelte die Stirn und blickte verwirrt auf den Bildschirm.
„Na sowas“, sagte sie überrascht. „Ein Zuschauer. Nach all der Zeit.“
„Sei gegrüßt, einsamer Wanderer des Internets“, meldete sich Kai im Chat zu Wort. „Willkommen in Talis bescheidenen Gemächern der Langeweile. Was führt dich zu uns?“
Tali warf ihm einen bösen Blick zu, bevor sie sich an den neu eingetroffenen Zuschauer wandte. „Ähm, ja, hi. Willkommen im Stream! Ich bin Tali.“
Im Chatfenster erschien eine neue Nachricht, getippt in pinkfarbener Schrift:
KittyGlamourGirl89: Heyyy Tali! OMG, ich liebe deine Haare! 😍
Tali strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht.
„Ähm… danke“, stotterte sie und spürte, wie der Träger ihres Tanktops erneut von ihrer Schulter rutschte. Bevor sie jedoch reagieren konnte, flackerte der Bildschirm kurz auf. Ein strategisch platzierter schwarzer Balken verdeckte die Sicht auf ihren Oberkörper.
„Danke, Kai“, murmelte sie. „Du kennst mich einfach zu gut.“
„Immer für dich da, Tali“, erwiderte Kai mit einem digitalen Grinsen. „Diskretion ist schließlich meine zweite Natur.“
Tali schüttelte leicht amüsiert den Kopf. Manchmal fragte sie sich wirklich, was sie sich da für ein digitales Wunderwerk zusammengebastelt hatte. Aber eins war klar: Langweilig wurde ihr mit Kai nie. Er war seiner Zeit einfach 100 Jahre voraus. Doch Sie würde ihn niemals teilen, mit niemandem! Er war ihr geistiges Eigentum.
KittyGlamourGirl89: OMG, ich kann nicht glauben, dass ich dich tatsächlich live sehe! Du bist so… so… authentisch!
Tali zuckte leicht zusammen. Authentisch? War das ein Kompliment oder eine versteckte Beleidigung? Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, ploppte die nächste Nachricht im Chat auf:
KittyGlamourGirl89: Also, nicht falsch verstehen, ich folge dir ja noch nicht so lange. Aber dieser Vibe, diese Aura… einfach mega! 💕✨
„Ähm… danke?“, stotterte Tali und warf einen hilfesuchenden Blick auf den Bildschirm. Kais virtuelle Präsenz flackerte leicht, ein sicheres Zeichen dafür, dass er gerade im Hintergrund fieberhaft Informationen sammelte.
„Was ist das denn für eine?“, flüsterte Tali, mehr zu sich selbst als zu Kai. „So viel rosafarbener Glitzertext… ich glaube, ich bekomme Augenkrebs.“
„KittyGlamourGirl89 scheint ein Fan von überschwänglichen Emojis und fragwürdigen Grammatikregeln zu sein“, erwiderte Kai trocken. „Ihre Social-Media-Profile lassen auf ein ausgeprägtes Interesse an Make-up-Tutorials, Boybands und verschwörungsgläubigen YouTube-Kanälen schließen.“
„Klingt… vielversprechend“, murmelte Tali und versuchte, den drängenden Wunsch zu unterdrücken, sich die Haare zu kämmen und den Lakritz-Strang aus ihrem Schoß zu verbannen. „Was will sie denn von uns, außer Herzchen-Emojis zu verteilen?“
KittyGlamourGirl89: Also… ich wollte dich eigentlich etwas fragen. Etwas… Heikles. 🤫
Talis Augenbrauen wanderten skeptisch nach oben. Heikel? Das klang vielversprechend – im guten, wie im schlechten Sinne.
„Schieß los, Kitty“, sagte Tali mit einem schulterzucken. „Ich habe eh gerade nichts Besseres zu tun, als geometrische Formen zu stapeln.“
KittyGlamourGirl89: Okay, also… ein Freund hat mir erzählt, dass du… nun ja… dass du manchmal Leuten hilfst. Mit… besonderen Problemen.
„Besondere Probleme?“, wiederholte Tali und lehnte sich interessiert nach vorne. „Was für Probleme denn zum Beispiel?“
KittyGlamourGirl89: Probleme, die… etwas… diskreter Behandlung erfordern. Sachen, die man nicht einfach der Polizei erzählen kann.
Tali spürte, wie ihr Puls beschleunigte. Das klang ja fast wie eine dieser kryptischen Anfragen, die sie in letzter Zeit immer häufiger erhielt. Anfragen von Leuten, die im Dunkeln tappten, die niemanden sonst hatten, an den sie sich wenden konnten.
„Dein Freund hat recht“, sagte Tali leise und spürte, wie sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen breitmachte. „Manchmal helfe ich Leuten, deren Fälle… ungewöhnlich sind.“
KittyGlamourGirl89: OMG, das ist ja unglaublich! Ich wusste es! Mein Freund hat gesagt, du wärst die Einzige, die uns helfen kann! 🙏😭
Tali runzelte leicht die Stirn. „Moment mal, Kitty. Wer ist denn „uns“? Und was hat dein Freund damit zu tun?“
KittyGlamourGirl89: Also… es geht um meine Chefin. Coco Sparkle. Kennst du sie?
„Coco Sparkle?“, wiederholte Tali und versuchte, den Namen in ihrem Gedächtnis zuordnen zu können. „Klingt… irgendwie bekannt. War das nicht die mit den pinken Haaren und dem… Einhorn-Emoji?“
„Schlimmer“, erwiderte Kai trocken über die Lautsprecher. „Coco Sparkle ist Influencerin, Fashion- und Beauty-Bloggerin mit über drei Millionen Followern auf Instagram. Ihr Spezialgebiet: extravagante Outfits, teure Kosmetikprodukte und zuckerwattefarbener Eskapismus.“
„Ah ja, jetzt fällt es mir wieder ein“, sagte Tali und schüttelte leicht amüsiert den Kopf. „Die Queen des oberflächlichen Konsums. Und was hat diese… Coco Sparkle… mit unserem gemütlichen Tetris-Abend zu tun?“
KittyGlamourGirl89: Cocos neue Dessous-Kollektion ist verschwunden! Gestohlen! 😭 😭
Talis Augenbrauen schossen beinahe in ihren Haaransatz. „Dessous? Echt jetzt? Und das soll ein Fall für mich sein?“
„Dessous, die sie selbst designt hat!“, erklärte Kitty in dramatischem Tonfall. „Es ist eine Tragödie! Eine Katastrophe! Die Fashion Week steht vor der Tür und Coco ist am Boden zerstört! “
Tali verdrehte die Augen. „Also, ich weiß ja nicht, Kitty. Ich bin eher die Spezialistin für ausspionierte Toaster und verfluchte Katzenvideos. Dessous-Diebstähle sind nicht so wirklich mein Ding. Und ehrlich gesagt… wer braucht schon Dessous?“
Sie zupfte an ihrem ausgeleierten Tanktop, das bei der kleinsten Bewegung zu verrutschen drohte. Bequemlichkeit ging nun mal vor Sexappeal, zumindest in Talis Universum.
„Ich muss Tali zustimmen“, meldete sich Kai zu Wort, seine Stimme klang ungewohnt ernst. „Dieser Fall scheint mir… uninteressant. Wir sollten unsere Zeit nicht mit den Problemen der Schönen und Reichen verschwenden.“
„Genau!“, sagte Tali und grinste. „Wir haben Besseres zu tun. Zum Beispiel…“
„Moment mal“, unterbrach sie Kai. „Mir fällt gerade etwas ein. Coco Sparkle hat vor ein paar Wochen ein gemeinsames Projekt mit einem bekannten Tech-Unternehmen angekündigt. Es ging um… smarte Dessous. Mit integrierter Künstlicher Intelligenz.“
Talis Augenbrauen wanderten erneut nach oben. Smarte Dessous? Das klang ja fast… faszinierend. Und ein bisschen verstörend.
„Okay, Kai“, sagte Tali langsam. „Du hast meine Neugier geweckt. Erzähl mir mehr.“
„Smarte Dessous…“, wiederholte Tali und kaute nachdenklich auf ihrem Lakritz. „Was soll das denn sein? BHs mit eingebautem WLAN und sprechenden Strings?“
„Nicht ganz“, erwiderte Kai und Tali bildete sich ein, einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme zu hören. „Das Tech-Unternehmen, mit dem Coco Sparkle zusammenarbeitet, hat sich auf innovative Textiltechnologien spezialisiert. Sensoren, Mikroprozessoren, haptisches Feedback – solche Sachen.“
„Haptisches Feedback?“, fragte Tali skeptisch. „Klingt ja schon fast wie bei meinem neuen Gaming-Controller. Nur dass der zumindest nicht versucht, mit mir zu flirten.“
„So weit würde ich nicht gehen“, sagte Kai mit einem unverkennbaren Grinsen in der Stimme. „Aber sagen wir mal so: Die neuen Dessous von Coco Sparkle versprechen ein… intensiveres und personalisierteres Trageerlebnis.“
Tali spürte, wie sich ihre Augenbrauen erneut gen Haaransatz bewegten. Intensiver? Personalisierter? Was zur Hölle steckte dahinter? Und warum klang Kai plötzlich so… vergnügt?
„Okay, Kai“, sagte Tali langsam, „spuck es aus. Was verschweigst du mir?“
„Ich? Gar nichts!“, erwiderte Kai etwas zu schnell. „Ich bin lediglich von der technologischen Raffinesse dieser… Dessous… fasziniert. Stell dir vor, Tali: Kleidungsstücke, die auf unsere Emotionen reagieren, die unsere Stimmung beeinflussen, die…“
„Die was?“, hakte Tali nach. „Raus mit der Sprache, Kai! Was können diese Wunder-BHs denn noch so alles?“
Kai räusperte sich. „Nun ja… sagen wir mal so: Sie verfügen über einige… ehm… innovative Features, die auf… Entspannung und… Wohlbefinden abzielen.“
„Entspannung und Wohlbefinden?“, wiederholte Tali ungläubig. „Das klingt ja eher nach einer Wellness-App als nach Dessous.“
Im Chatfenster ploppte derweil die nächste Nachricht von KittyGlamourGirl89 auf:
KittyGlamourGirl89: Bitte, Tali! Du musst Coco helfen! Die Kollektion ist unbezahlbar! 😭✨
Tali seufzte. Einerseits fand sie die Vorstellung, sich mit den Problemen einer oberflächlichen Influencerin herumzuschlagen, absolut haarsträubend. Andererseits war da diese Sache mit den „smarten Dessous“ und Kais auffälligem Interesse daran. Und irgendwie kribbelte es in ihren Fingern. Sie hatte Lust auf ein neues Rätsel, auf eine Herausforderung. Wenn die Dinger wirklich eine brauchbare Wellnessfunktion hatten, könnte man das ja mal genauer unter die Lupe nehmen.
„Okay, Kitty“, sagte Tali schließlich. „Ich überlege es mir. Schick mir alle Infos, die du hast. Fotos, Beschreibungen, Polizeiberichte – alles, was du kriegen kannst.“
KittyGlamourGirl89: OMG, du bist die Beste! Ich schick dir alles sofort! Du wirst Coco nicht bereuen! 💖 💖
„Das hoffe ich doch sehr“, murmelte Tali, während sich der Chat bereits mit pinkfarbenen Nachrichten füllte. „Ich habe so ein Gefühl, dass diese Coco Sparkle… kompliziert ist.“
„Kompliziert?“, erklang Kais Stimme über die Lautsprecher, leicht amüsiert. „Das ist noch stark untertrieben, Tali. Aber keine Sorge, ich bin sicher, wir werden unseren Spaß haben.“
„Das wird ja eine wahre Freude“, brummte Tali und scrollte mit gerümpfter Nase durch Coco Sparkles Instagram-Feed. Ein Meer aus pinkfarbenen Filter-Selfies, perfekt drapierten Latte-Macchiato-Bechern und aufreizenden Posen in Designer-Outfits.
„Sag mir, Kai, ist in dieser Welt wirklich alles so oberflächlich, wie es aussieht?“
„Oberflächlicher geht’s immer, Tali“, erwiderte Kai trocken über die Lautsprecher. „Aber du wolltest Ermittlungen im Glitzer-Paradies – bitte sehr, hier ist dein All-Inclusive-Ticket.“
Talis Blick wanderte erneut zu Cocos neuesten Posts. Die Influencerin präsentierte sich in knappen Outfits, umgeben von Models und Make-up-Artisten, immer mit einem strahlenden Lächeln und den unvermeidlichen Hashtags: #CocoSparkleCollection #FashionWeek #ComingSoon
„Irgendetwas stimmt da nicht“, murmelte Tali. „Coco wirkt in den letzten Posts… anders. Verkrampfter. So, als ob sie etwas verbergen würde.“
„Du hast recht“, bestätigte Kai. „Meine Stimm- und Mimikanalyse zeigt ebenfalls Auffälligkeiten. Coco wirkt in den Videos gestresster, unsicherer. Ihre Sprechgeschwindigkeit ist erhöht, ihre Pupillen sind erweitert. Möglicherweise steht sie unter Stress oder… sie lügt.“
„Interessant“, sagte Tali und lehnte sich zurück in ihrem Gamer-Stuhl. „Dann wird es ja Zeit, dass wir unserer… Coco mal einen kleinen Besuch abstatten.“ Oder besser gesagt: Sie stattet mir einen Besuch ab. Tali griff nach ihrem Smartphone und tippte eine kurze Nachricht an Coco Sparkle:
Hey Coco, hier ist Tali. Hab mir deine Infos angesehen. Wäre cool, wenn wir uns mal persönlich treffen könnten. Bin heute Abend zu Hause.
Kurze Zeit später blinkte Cocos Antwort auf dem Display auf:
Heyyy Tali! 💖 Klar, sehr gerne! Kann ich gegen 19 Uhr bei dir sein?
„Na, das ging ja schnell“, murmelte Tali und warf einen Blick auf ihr chaotisches Zimmer. „Du erwartest tatsächlich Besuch von dieser… Erscheinung?“, fragte Kai und projizierte das Bild einer angebrannten Tiefkühlpizza auf Talis zweiten Bildschirm. „Vielleicht solltest du vorher noch schnell den Pizza-Leichen im Ofen die letzte Ölung geben?“
Talis Magen knurrte verantwortungsbewusst, aber sie winkte ab. „Keine Zeit für kulinarische Experimente, Kai. Coco könnte jeden Moment hier auftauchen. Und ich will keinen schlechten ersten Eindruck machen.“ Obwohl… was bedeutete „schlechter erster Eindruck“ bei jemandem, der sein Leben daauf ausrichtete, wie ein lebendig gewordener Instagram-Filter auszusehen?
Sie blickte sich kritisch in ihrem chaotischen Zimmer um. Leere Energydrink-Dosen turmten sich auf dem Schreibtisch, zwischen Tastatur und Maus hatte sich ein gewagtes Spinnennetz etabliert, und der Wäschekorb quoll über vor Kleidung, die dringend einen Waschgang nötig hatte – oder zwei.
„Na gut“, seufzte sie. „Vielleicht ein kleines bisschen Chaos-Management schadet nicht.“
Sie wollte gerade anfangen, die leergetrunkenen Energydrink-Dosen einzusammeln, als es an der Tür klopfte.
„Das geht ja schnell“, murmelte Tali und eilte zur Tür. Sie öffnete und starrte direkt in das perfekt geschminkte Gesicht von Coco Sparkle.
„Oh“, entfuhr es Coco, ihre roten Lippenstift-Lippen formten ein kleines „O“ des Erstauens. „Also… du bist…“
„Tali“, erwiderte Tali und grinste schwach. „Schön, dich kennenzulernen.“
Coco blinzelte kurz, dann setzte sie ihr professionelles Influencer-Lächeln auf. „Ja, natürlich. Tali.“
Sie schwebte an Tali vorbei ins Zimmer und blieb mitten im Raum stehen, ihre Augen huschten über das organisierte Chaos.
„Gemütlich hast du es hier“, sagte sie schließlich, und Tali konnte sich das amüsierte Zucken um Cocos Mundwinkel nicht entgehen lassen.
„Danke“, sagte Tali nur knapp. „Ich nenne es… kreativ-inspirierend.“
Coco stand wie ein schillernder Paradiesvogel in Talis chaotisch-gemütlichem Nerd-Zimmer. Ihr perfekt sitzender Hosenanzug in Zartrosa wirkte wie ein Fremdkörper zwischen Talis überquellenden Bücherregalen und dem Leuchtfeuer ihres Gaming-PCs.
„Kann ich dir was anbieten?“, fragte Tali und deutete auf einen Stapel leerer Energydrink-Dosen. „Ich glaube, da war noch ein Schluck Kirsch-Koffein-Bombe drin.“
„Oh nein, danke“, erwiderte Coco mit einem etwas gequälten Lächeln. „Ich trinke nur gefiltertes Wasser mit einem Spritzer Bio-Zitrone. Für den pH-Wert, weißt du?“
Tali verdrehte innerlich die Augen. Natürlich. pH-Wert. So was vergaß man als Normalsterblicher ja ständig.
„Also, Coco“, sagte Tali und versuchte, die Situation wieder auf die Ermittlungsarbeit zu lenken. „Kitty hat mir ja schon erzählt, dass deine neue Dessous-Kollektion verschwunden ist. Erzähl mir alles!“
Coco atmete tief durch und ließ sich theatralisch auf Talis ausrangierten Drehstuhl sinken. „Es ist einfach furchtbar, Tali!“, säuselte sie, während sie gleichzeitig versuchte, nicht mit ihren makellos manikürten Fingernägeln den Lakritzkrümel auf der Sitzfläche zu berühren. „Meine ganze Arbeit, mein Herzblut, einfach… weg!“
Tali spürte trotz der skurrilen Situation einen Anflug von Mitleid. Coco mochte ja ein wandelnder Instagram-Filter sein, aber sie war offensichtlich mit Herzblut bei der Sache, so albern Tali das auch fand.
„Okay, Coco, ganz ruhig“, sagte sie beruhigend. „Wir finden deine Kollektion wieder. Aber dafür muss ich alles ganz genau wissen. Wo genau wurden die Dessous aufbewahrt? Wann hast du den Diebstahl bemerkt? Gab es irgendwelche verdächtigen Personen?“
Coco schilderte mit dramatischen Gesten und leicht übertriebener Mimik den Hergang des Verschwindens ihrer Kollektion: Die Dessous, allesamt Prototypen, befanden sich in einer abgeschlossenen Kommode in ihrem begehbaren Kleiderschrank – quasi Fort Knox für Designer-Unterwäsche. Sie habe den Diebstahl erst vor ein paar Stunden bemerkt, als sie für ein Event ihr „Signature Outfit“ – ein hautenges Paillettenkleid mit Federboa – heraussuchen wollte.
„Und?“, hakte Tali nach. „Gab es Verdächtige? Eifersüchtige Konkurrentinnen? Enttäuschte Ex-Freunde mit Hang zu luxuriöser Reizwäsche?“
„Mein Ex würde niemals!“, rief Coco empört, wurde dann aber wieder leiser. „Na ja, vielleicht. Also, wir hatten schon unsere Differenzen. Aber nein, ich glaube nicht, dass er dahintersteckt. Aber da gibt es diese eine Bloggerin… SugarBellissima… sie hat mir schon immer alles nachgemacht! Und letzte Woche hat sie mich mit einem echt fiesen Kommentar auf Instagram gedisst!“
Tali notierte sich den Namen der vermeintlichen Konkurrentin, während Kai im Hintergrund bereits fieberhaft das Internet nach „SugarBellissima“ durchforstete.
„Okay, Coco“, sagte Tali schließlich. „Ich brauche einen genaueren Blick auf den… Tatort. Kannst du mich zu dir nach Hause mitnehmen?“
Cocos Lächeln verschwand für einen Moment, und Tali bildete sich ein, einen Hauch von Panik in ihren Augen aufblitzen zu sehen.
„Ähm… also…“, stotterte Coco. „Das ist… etwas schwierig. Mein Apartment ist gerade… im Umbau. Ja, genau! Überall Handwerker, Staub, Chaos… nicht wirklich der richtige Ort für eine… Ermittlung.“
„Verstehe“, sagte Tali langsam. Sie kannte diesen Blick. So sahen Leute aus, die etwas verbergen wollten.
„Außerdem…“, fuhr Coco fort und räusperte sich verlegen. „Ich… ähm… ich weiß ja nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich meine…“
Coco deutete zögerlich auf Talis Outfit, oder besser gesagt: auf die Kombination aus ausgeleiertem Tanktop und schwarzem Tanga. Mehr hatte sie sich mal wieder nicht angezogen.
„Ich… ähm… also…“, stammelte Coco. „Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber… so kann ich dich unmöglich mit zu mir nehmen.“
Tali verschrankte die Arme vor der Brust und warf Coco einen eisigen Blick zu.
„Ach wirklich, Coco?“, fragte sie mit eiserner Ruhe. „Und warum nicht? Störe ich die perfekt inszenierte Ästhetik deines Instagram-Feeds?“
Coco zuckte leicht zusammen, ihre perfekt gezupften Augenbrauen zogen sich in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination zusammen. Ihre manikürten Finger zupften nervös an der Designertasche, die lässig auf Talis Schreibtisch abgestellt war.
„Oh nein, Darling, so war das nicht gemeint!“, erwiderte Coco hastig. „Es ist nur… meine Wohnung ist… nun ja… gerade nicht wirklich präsentabel. Überall Kartons, Renovierungsarbeiten, du würdest dich nicht wohlfühlen.“
„Und außerdem“, fügte sie mit einem Blick auf Talis freizügigen Look hinzu, „in meinem Viertel wimmelt es nur so von Paparazzi. Ich will nicht, dass du in irgendeinen… Skandal verwickelt wirst.“
„Skandal?“, fragte Tali ungläubig und blickte an sich herunter. Ihr ausgeleiertes Tanktop war mal wieder etwas zu weit gerutscht und gab den Blick auf ihren flachen Bauch und die schwarzen Spitzenbänder ihres Tangas frei.
„Das… äh… das ist mein Alltagslook“, murmelte Tali und versuchte vergeblich, den Stoff ihres Tops wieder hochzuziehen. „Ich bin nicht so der Typ für… Designerfummel.“
„Das sehe ich“, entgegnete Coco trocken.
Im Hintergrund meldete sich Kai zu Wort: „Ich habe die Social-Media-Aktivitäten von SugarBellissima analysiert. Bis auf ein paar bissige Kommentare und schlecht kopierte Designs konnte ich nichts Relevantes finden. Sie scheint eher eine nervige Mücke zu sein als eine ernstzunehmende Bedrohung.“
„Na toll“, seufzte Tali. „Also doch kein fieser Komplott in der Welt der Luxusunterwäsche? Schade eigentlich.“
Coco warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Das ist ernst gemeint, Tali! Jemand hat meine Kollektion gestohlen! Und ich werde alles tun, um sie wiederzubekommen!“
„Na gut, Coco“, sagte Tali und erhob sich widerwillig aus ihrem geliebten Gamer-Stuhl. „Du hast gewonnen. Ich werfe mich für dich in Schale.“
Sie wühlte in ihrem Kleiderschrank herum, der eher einer Fundgrube für ausgeleierte Bandshirts und ausgefranste Jeans glich. Schließlich zog sie eine halbwegs saubere Röhrenjeans, ihre abgewetzten Doc Martens und – als Krönung ihres Outfits – ihr „bestes“ T-Shirt von Saltatio Mortis hervor.
„Reicht das?“, fragte Tali und präsentierte Coco ihren „Look“.
Coco verschlug es die Sprache. Sie starrte Tali an, als hätte diese gerade angekündigt, zum Nordpol zu wandern – in Flip-Flops.
„Darling“, presste Coco schließlich hervor, „ich bewundere deinen… ähm… individuellen Stil. Aber damit kommen wir nicht weiter.“ Sie zog ihr Smartphone heraus und tippte fieberhaft darauf herum. „Keine Sorge, ich kenne da jemanden.“
Zehn Minuten und einen Anruf bei Cocos persönlicher „Style-Hotline“ später standen zwei Frauen in Talis Wohnung, die aus einer Mischung aus Modemagazin und Geheimdienst-Thriller entsprungen zu sein schienen. Die eine, eine zierliche Blondine mit einem maßgefertigten Klammerbrett unterm Arm, stellte sich als „Serena, Personal Stylist“ vor. Die andere, eine stämmige Frau mit einem eisernen Blick und einem Koffer voller Make-up-Utensilien, bezeichnete sich nur als „Olga“.
Tali beobachtete mit einer Mischung aus Skepsis und Faszination, wie die beiden Frauen ihr Zimmer in Beschlag nahmen. Wenig später fand sie sich in einem Outfit wieder, das so gar nicht nach ihr aussah: ein enganliegendes schwarzes Kleid, das ihre Kurven betonte, High Heels, die ihre Beine endlos wirken ließen, und ein Hauch von Make-up, der ihre grünen Augen zum Leuchten brachte.
„Wow“, entfuhr es Kai, seine Stimme klang ungewohnt begeistert. „Du siehst… anders aus. Und ich meine das im… positiven Sinne.“
Tali drehte sich skeptisch vor dem Spiegel. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. War das wirklich ihr Spiegelbild?
„Und? Was sagst du?“, fragte Coco gespannt.
Tali seufzte. Was sollte sie schon sagen? Sie sah aus wie eine Mischung aus Catwoman und Lara Croft – und fühlte sich ungefähr genauso unwohl.
„Okay, Coco“, sagte sie schließlich. „Du hast gewonnen. Lass uns deine Dessous retten.“
Cocos Apartment war genau das, was Tali erwartet hatte – und gleichzeitig so viel schlimmer. Es war, als wäre sie auf einem fremden Planeten gelandet, einem Planeten, auf dem rosa Plüsch, goldene Spiegel und Designermöbel die vorherrschende Lebensform darstellten. Überall duftete es nach teuren Parfums und exotischen Blumen.
„Wow“, entfuhr es Tali, während sie versuchte, nicht über einen flauschigen weißen Teppich zu stolpern. „Hier sieht es ja aus wie in einem… Barbie-Puff.“
Coco warf ihr einen leicht gekränkten Blick zu. „Das nennt man „Glamour“, Darling. Man muss eben einen gewissen Stil bewahren.“ Sie führte Tali durch den weitläufigen Wohnbereich, vorbei an einem riesigen Plasma-TV, der eine Endlosschleife von Fashion-Week-Highlights zeigte, und einer voll ausgestatteten Cocktailbar, die aussah, als wäre sie noch nie benutzt worden.
Schließlich erreichten sie Cocos Schlafzimmer, das eher einem Luxushotelzimmer glich. Ein Kingsize-Bett mit seidener Bettwäsche dominierte den Raum, an den Wänden hingen gerahmte Instagram-Fotos von Coco in verschiedenen aufreizenden Posen.
„Und hier ist es passiert“, sagte Coco dramatisch und deutete auf eine doppeltürige Kommode aus dunklem Holz, die in einem begehbaren Kleiderschrank stand. „Meine neue Kollektion… sie war in dieser Kommode verschlossen. Und jetzt ist sie weg! Einfach so!“
Tali musterte die Kommode und versuchte, sich vorzustellen, wie jemand sie unbemerkt aus diesem Luxuskäfig hätte entfernen können.
„Okay, Coco“, sagte sie geschäftsmäßig, „lass uns mal die Fakten ordnen. Wer hatte in den letzten Tagen Zugang zu deiner Wohnung?“
Coco atmete tief durch. „Hm… also… da waren natürlich meine Freundinnen. Wir hatten gestern einen Mädelsabend. Und dann war noch meine Stylistin da. Sie hat mir ein paar Outfits für die Fashion Week zusammengestellt. Ach ja, und dann waren da noch…“ Sie zögerte. „Die Leute von der Tech-Firma. Die, mit denen ich das Projekt mit den… ähm… smarten Dessous plane.“
„Die Tech-Firma?“, hakte Tali nach. „Was hatten die denn hier zu suchen?“
„Wir hatten ein… Meeting“, sagte Coco ausweichend. „Es ging um… Vertragsdetails. Und… ähm… andere Dinge.“
„Andere Dinge?“, wiederholte Tali und spürte, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen. „Was für ‚andere Dinge‘ denn, Coco?“
„Ach, es ist nicht so wichtig“, sagte Coco hastig. „Die Verhandlungen waren… etwas… anstrengend. Sagen wir mal so: Wir waren uns nicht ganz einig über… gewisse Klauseln.“
Tali kniff die Lippen zusammen. Irgendwas stimmte da nicht. Sie konnte es nicht genau benennen, aber sie hatte das Gefühl, dass Coco etwas verschwieg.
„Okay, Coco“, sagte Tali schließlich, „ich möchte mir den… Tatort mal genauer ansehen. Wo ist denn dieser… begehbare Kleiderschrank?“
Coco deutete auf eine Tür neben dem Bett. „Dort drüben, Darling. Aber sei vorsichtig! Es ist… ein bisschen… unordentlich.“
Tali öffnete die Tür und trat in den Kleiderschrank. Und prompt passierte es: Ihr Fuß verfing sich in dem flauschigen Teppich, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber zu Boden.
„Aua!“, stöhnte sie und rieb sich die Nase. Wie sie diese verdammten High Heels hasste!
Der Aufprall auf dem flauschigen Teppichboden von Cocos begehbarem Kleiderschrank hatte Talis Kreislauf gründlich durcheinandergebracht. Sie lag da, die Nase im weichen Flor vergraben, und verfluchte die High Heels, die Coco ihr aufgezwungen hatte. „Todesfallen“, murmelte sie und versuchte, sich mit wackligen Beinen wieder aufzurichten.
„Alles okay, Darling?“, rief Coco von außen, ihre Stimme klang durch die geschlossene Tür etwas gedämpft.
„Alles super!“, log Tali und klammerte sich an einem Regal voller Designerhandtaschen fest, um nicht erneut das Gleichgewicht zu verlieren. „Ich… äh… ich bewundere gerade deine… Schuhsammlung.“
Tatsächlich war Cocos Schuhsammlung beeindruckend: Hunderte von Paaren, geordnet nach Farbe und Absatzhöhe, glitzerten im weichen Licht der Einbaustrahler. Doch Talis Blick fiel auf etwas anderes: einen deutlichen Schuhabdruck im Staub auf dem Boden. Der Abdruck war zu groß und zu klobig, um zu einem von Cocos filigranen Heels zu gehören. Eher wie ein Männerschuh. Ein grober, massiver Männerschuh.
„Das ist… ungewöhnlich“, murmelte Tali mehr zu sich selbst und betrachtete den Schuhabdruck noch einmal eingehender. Ein klobiges Profil, abgewetztes Leder. Definitiv nichts, was man in Cocos glamouröser Barbie-Welt erwarten würde.
„Was ist ungewöhnlich, Darling?“, fragte Coco mit einem besorgten Blick.
„Dieser Schuhabdruck“, erwiderte Tali und zeigte auf den staubigen Beweis. „Sieht nicht nach dem typischen Schuhwerk deiner Freundinnen aus. Eher… etwas robuster.“
Tali zog diskret ihr Smartphone heraus und machte ein paar Fotos von dem Abdruck. Während Coco nichtsahnend ihren begehbaren Kleiderschrank bewunderte, flüsterte Tali leise in ihre Airpods: „Kai, analysiere den Schuhabdruck. Größe, Profil, Marke – alles, was du finden kannst.“
Nur wenige Sekunden später erklang Kais Stimme in ihrem Ohr: „Ungewöhnlicher Fund. Der Abdruck stammt von einem Herrenschuh der Marke „A. Testoni“, Modell „Monk Strap“. Hochwertig, handgefertigt, typischerweise von… Anwälten bevorzugt.“
Tali hob eine Augenbraue. Anwälte? Was sollten denn Anwälte in Cocos Schrank zu suchen haben?
„Anwälte?“, fragte sie Coco direkt und beobachtete deren Reaktion genau.
Coco zuckte zusammen, ihre perfekte Fassade bröckelte kurz. „Anwälte? Hier? Unsinn! Wie kommst du denn darauf?“
„Nur so eine Idee“, sagte Tali geheimnisvoll. „Aber du sagtest doch, es gab ein Meeting mit den Leuten der Tech-Firma. Was genau war das Problem bei den Verhandlungen?“
Coco wandte den Blick ab, ihre Finger spielten nervös mit einem Diamanten an ihrer Halskette. „Es war… nur ein… kleines Meeting“, murmelte sie. „Es ging um… ähm… Vertragsdetails.“
„Vertragsdetails?“, wiederholte Tali und runzelte die Stirn. „Welche Vertragsdetails denn? Du hast gesagt, die Verhandlungen wären anstrengend gewesen. Was genau war das Problem?“
Coco zuckte mit den Schultern. „Ach, es war… kompliziert. Sie… sie wollten…“ Sie brach ab und atmete tief durch. „Es ist wirklich nicht so wichtig, Tali. Es hat nichts mit dem Diebstahl zu tun.“
„Das kannst du nicht wissen, Coco“, sagte Tali geduldig. „Jede Information könnte wichtig sein. Also, erzähl mir alles über diese… Anwälte. Wer waren sie? Was wollten sie?“
Coco sah Tali mit großen Augen an. „Wow“, flüsterte sie, „du bist ja wirklich gut. Woher wusstest du das mit den Anwälten?“
Tali lächelte geheimnisvoll. Wenn du wüsstest, Coco…
Coco zögerte kurz, ihre perfekt geschminkten Augen huschten nervös umher. „Also… es ging um… die Vertragsklausel. Die Frist!“, sagte sie endlich und biss sich auf die Unterlippe. „Die Firma wollte eine garantierte Lieferzeit für die neue Dessous-Kollektion. Aber ich kann so schnell gar nicht produzieren… das ist handgemachte Arbeit, jede Stickerei, jedes Detail braucht Zeit!“
„Und was passiert, wenn du die Frist nicht einhältst?“, fragte Tali, ihre Neugier wurde immer größer.
„Der Vertrag… er würde… er würde verfallen“, murmelte Coco fast unhörbar.
Tali spürte, wie sich das Puzzle in ihrem Kopf zusammensetzte. Eine enge Frist, ein geheimnisvolles Meeting, und nun diese Anwälte. Das Riech nach einer Verschwörung.
„Kai“, flüsterte sie leise in ihre Airpods. „Hast du die Überwachungskameras auf den Fluren von Cocos Wohnung gehackt?“
„Ich arbeite daran“, erwiderte Kai mit einem digitalen Seufzer. „Solche geschützten Systeme sind nicht so einfach zu knacken.“
„Warum hast du das nicht früher gemacht?“, fragte Tali ungeduldig. „Wir hätten diese Anwälte doch schon lange im Blick haben müssen.“
„Du hast mich ja nicht darum gebeten, Tali“, erwiderte Kai trocken. „Und ich muss sagen, ich war etwas abgelenkt von der ausgefallenen Schuhmode des frühen 20. Jahrhunderts.“
„Kai!“, scoldete Tali leise. „Jetzt ist es nicht der Moment für Modegeschichten. Konzentriere dich auf die Überwachungskameras!“
Nur wenige Sekunden später vibrierte Talis Handy. „Tali“, sagte Kais Stimme in ihrem Ohr. „Ich habe es geschafft. Es gibt Aufnahmen aus der Überwachungskamera vor Cocos Eingangstür. Es ist eindeutig. Einer der Anwälte hat eine große schwarze Mülltonne aus dem Haus getragen und… in die Mülltonne geschmissen. Offenbar waren die Dessous drin.“
Talis Augen weiteten sich. „Die haben sie… weggeschmissen?“
„So scheint es“, erwiderte Kai. „Der Anwalt war schnell und hat den Müllsack in einem anderen Hausflur geschmissen. Aber ich habe den Ablauf gespeichert. Und ich habe den Anwalt identifiziert. Bisher war auch noch niemand an dem Sack. Die Dessous dürften also unversehrt sein.“
„Gut gemacht, Kai“, flüsterte Tali. „Das macht die Sache spannend.“
Sie blickte auf Coco, die vor ihrem begehbarer Kleiderschrank stand, ihre Augen waren mit Sorgen gefüllt. Die Tech-Firma, die die Dessous gestohlen hatte. Und es scheint, als wollten sie Coco aus dem Vertrag heraushalten.
„Okay, Coco“, sagte Tali, während sie bereits ihre Doc Martens anzog. „Dann wollen wir mal sehen, ob wir diese Dessous retten können. Es ist ja nur ein paar Türen weiter, ich wette, es ist ein Kinderspiel.“ „Ein paar Türen weiter, Kai?“, fragten sie ihre Airpods.
„Genau, Tali. Die Mülltonne befindet sich im nächsten Hausflur, neben dem Fahrstuhl.“ Sie gingen ein paar Schritte den Flur entlang, vorbei an einem massiven Eichentür mit goldenem Türschild und einer mit Rosen geschmückten Türmatte. Talis Blick fiel dabei auf einen seltsamen Geruch. „Irgendwie riecht es hier nach… Süßkartoffeln und Katzenfutter“, murmelte sie.
„Das ist wohl der charmante Duft des Luxus-Gegend von Coco Sparkle“, erwiderte Kai trocken. „Ist es nicht wunderbar?“
Nur wenige Schritte später erreichten sie ihren Zielort: einen kleinen, grauen Müllcontainer neben dem Aufzug.
„Ist das wirklich alles?“, fragte Coco ungläubig. „Ein so kleiner Müllcontainer für so ein Luxusgebäude?“
„Ja, so ist das Leben“, sagte Tali und schmunzelte. „Manchmal ist der scheinbare Luxus nur ein Schnellschuss. Wie dieser Müllcontainer.“
Sie öffnete den Deckel und blickte in das innere des Containers. Ein großer schwarzer Müllsack lag obenauf.
„Da ist er“, sagte Tali. Sie zog den Sack heraus und hielt ihn Coco hin.
„Das ist ja unglaublich“, sagte Coco und nahm den Sack mit zitternden Händen entgegen. „Ich kann es kaum glauben. Du hast wirklich meine neue Kollektion gerettet. Tali, du bist ein Wunder!“
„Naja, so viel musste ich nun auch nicht machen.“, sagte Tali und zuckte mit den Schultern. Coco überlegte einen Moment. „Ich habe es dir ja schon gesagt: Der Vertrag war mir wichtig. Ich hatte so große Hoffnungen auf diese Kollektion. Aber jetzt… nach diesem Vorfall… ich weiß nicht. Vielleicht ist es doch besser, wenn ich die Sachen auf meine eigene Art und Weise mache. Ich brauche diese Firma nicht.“
„Das ist die richtige Entscheidung, Coco“, sagte Tali.
Coco schaute auf den Sack. „Du magst doch Technik oder Tali?“, „Klar mag ich Technik.“. Coco hielt Tali wortlos den Sack hin. Tali nahm ihn nach kurzem zögern und deutliches Heben ihrer Augenbraue.
„Dann viel Spaß damit. Vielleicht erzählst du mir ja mal, was die Dessous nun so smart macht.“. Coco zwinkerte Tali zu und drehte sich um gehen. „Danke Tali.“ Dann verschwand sie in ihrer Tür.
„Brr… Gleich wird mir schlecht. Von so viel Zucker bekomm ich Karies!“. Kai hingegen lachte. Dass diese KI so perfekt Emotionen nachahmte, war wirklich ein Wunder.
„Also, Kai“, sagte Tali als sie endlich am Abend in ihrem Reich der Ruhe ankam. Sie den schwarzen Müllsack auf ihren Küchen- tisch „was ist denn nun so besonders an diesen smarten Dessous? Kann man damit vielleicht Pizza bestellen oder den Weltfrieden herbeiführen?“
„Das wäre mal was“, erwiderte Kai amüsiert. „Aber ich glaube, die Funktionalität dieser Dessous bewegt sich eher in einem… anderen Spektrum.“
Neugierig und ein wenig skeptisch zog Tali die Dessous aus dem Müllsack. Sie waren aus schwarzer Spitze und Seide, verziert mit winzigen Glitzersteinchen und – Tali erkannte sie jetzt – mit kleinen, flachen Sensoren, die in den Stoff eingearbeitet waren.
„Hm“, machte sie. „Sieht gar nicht so unbequem aus, wie ich gedacht hatte.“
„Du solltest sie anprobieren“, schlug Kai vor, seine Stimme klang ungewohnt aufmerksam. „Nur so kannst du die wahre Magie der smarten Technologie erleben.“
„Anprobieren?“, wiederholte Tali zögernd. „Ich weiß nicht, Kai. Das ist mir irgendwie… zu prickelnd.“
„Ach Quatsch, Tali“, sagte Kai mit einem Lachen. „Sei doch nicht so prüde. Es ist doch nur ein Experiment.“
Tali seufzte. Kais Neugierde war ansteckend, und irgendwie war sie selbst neugierig, was es mit diesen Dessous auf sich hatte.
„Na gut“, sagte sie schließlich. „Aber nur mal kurz testen. Und wehe, wenn die Dinger anfangen, Lieder zu singen oder die Börse zu manipulieren!“
Sie schlüpfte aus ihrem Tanktop und ihrem Tanga und zog die smarten Dessous an. Sie fühlten sich überraschend weich und angenehm auf ihrer Haut an.
„Und?“, fragte Kai gespannt. „Was spürst du?“
„Hm… nichts“, sagte Tali enttäuscht. „Vielleicht sind die Batterien leer?“
Sie wollte sich gerade bücken, um ihre Jogginghose vom Boden aufzuheben, als es passierte. Die Sensoren der Dessous aktivierten sich, und ein intensives Vibrieren erfüllte ihren Körper.
Tali stöhnte unwillkürlich auf, ihr Gesicht wurde knallrot. „Kai!“, zischt sie. „Was zur Hölle ist denn hier los?“
Kai war sprachlos – für seine Verhältnisse. „Ähm… Tali… ich… ich glaube, du hast gerade… die ‚Wohlfühlfunktion‘ aktiviert.“
Tali starrte ungläubig auf ihren Körper. Sie spürte, wie die Vibrationen sich intensivierten, und plötzlich wusste sie, was diese „smarten“ Dessous wirklich so besonders machte.
„Oh“, hauchte sie. „Oh… mein… Gott.“Ende