Eine Kurzgeschichte über Tali, eine Mischung aus Sherlock Holmes und Nerd Girl mit einer KI als Sidekick, welche ihrer Zeit weit voraus ist.

Erster Zuschauer


Talis schlanke Finger tanzten über die Tastatur, ihre smaragdgrünen Augen, die normalerweise vor Intelligenz und einem Hauch von verschmitzter Ironie funkelten, waren jetzt auf den Bildschirm gerichtet. Ihr tiefschwarzes Haar, das sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte, fiel ihr in Strähnen ins Gesicht, während sie sich konzentriert auf das Souls-like Spiel vor ihr konzentrierte.
„Na komm schon, du überpixelter Haufen Elend“, murmelte sie, ihre Stimme ein leises, fast schon gelangweiltes Flüstern. Ihre Elfenkriegerin, eine digitale Miniaturversion ihrer selbst, wirbelte und schlug auf das Bossmonster ein, doch dessen Lebensbalken schien sich kaum zu bewegen.
„Du bist echt ein zäher Bursche“, sagte Tali, während sie geschickt einem Hieb des Monsters auswich. „Aber ich bin zäh…äh…ähm… geduldiger.“
Der Chat, ein einsames Fenster neben dem Bildschirm, blieb stumm. Kai, ihr einziger Zuschauer und gleichzeitig ihre selbstprogrammierte KI, hatte sich noch nicht zu Wort gemeldet. Die Zuschauerzahl unter dem Chatfenster zeigte eine einsame „1“.
Plötzlich, ein ohrenbetäubendes Brüllen. Das Monster packte Talis Elfe und schleuderte sie mit einem einzigen Schlag gegen eine Wand. Der Bildschirm färbte sich rot, Game Over.
„Tzz“, machte Tali und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Dabei verrutschte der Träger ihres viel zu großen Ramones-Shirts, und eine ihrer kleinen Brüste, ein zierliches A-Körbchen, lugte frech hervor.
Bevor Tali überhaupt reagieren konnte, flackerte der Bildschirm kurz auf. Zwei schwarze Balken, perfekt platziert, zensierten den ungewollten Nippelblitzer.
„Danke, Kai“, sagte Tali ohne jede Aufregung und zupfte ihren Träger beiläufig wieder hoch. „Du kennst mich einfach zu gut.“
„Natürlich“, erwiderte Kais Stimme, ein leichtes digitales Grinsen schwang in seinem Ton mit. „Du hast mich schließlich so programmiert, dass ich dich vor peinlichen Situationen bewahre. Und außerdem… ich schütze die Unschuld des Internets.“
Tali verdrehte die Augen. „Als ob das Internet jemals unschuldig war.“
Sie wollte gerade einen neuen Versuch starten, als eine Nachricht im Chat aufblinkte.
xX_DarkLord69_Xx: „Ähm… Hi?“, stand da in ungelenken Buchstaben geschrieben.
Tali blinzelte überrascht. Ein echter Zuschauer? Sie warf einen Blick auf die Zuschauerzahl. Tatsächlich, die „1“ hatte sich in eine „2“ verwandelt.
„Oh“, sagte Tali, ihre Stimme klang nun etwas wacher. „Hallo. Willkommen im Stream. Ich bin Tali.“
xX_DarkLord69_Xx: „Coole… äh… Elfe“, tippte der Zuschauer.
Tali schmunzelte. „Danke. Aber sie ist gerade gestorben. Wie du siehst, bin ich nicht besonders gut in diesem Spiel.“ Sie strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Aber ich bin lernfähig.“
Kai meldete sich im Chat zu Wort: „Und sie hat ein Händchen für… äh… ungewollte Garderobenstörungen.“
Tali ignorierte ihn und konzentrierte sich auf den neuen Zuschauer. Vielleicht würde das Streamen ja doch noch interessant werden.
Tali startete ein neues Spiel, ihre Finger bewegten sich mit geübter Präzision über die Tastatur. Ihre Augen huschten zwischen dem Bildschirm und dem Chatfenster hin und her, während sie versuchte, sowohl dem Spiel als auch dem neuen Zuschauer Aufmerksamkeit zu schenken.
xX_DarkLord69_Xx: Krasses Game! Was ist das für eins?
„Das Spiel heißt ‚Eternal Lament‘, ein Souls-like“, erklärte Tali.
xX_DarkLord69_Xx: Souls-like? Klingt… irgendwie düster.
Tali musste innerlich schmunzeln. „Ja, das kann man so sagen. Ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen.“
xX_DarkLord69_Xx: Ich mag Eierkuchen. Mit viel Sirup.
„Wer nicht?“, erwiderte Tali lachend, während sie einer Feuerfalle auswich.
xX_DarkLord69_Xx: Hast du schon mal Blaubeer-Sirup probiert?
„Blaubeer-Sirup? Hm, nicht wirklich mein Ding“, gab Tali zu.
xX_DarkLord69_Xx: Sollte man mal probieren. Verändert die Welt.
Tali nickte. „Vielleicht sollte ich das mal machen. Verändert die Welt, sagst du?“
xX_DarkLord69_Xx: Alles kann die Welt verändern. Ein Lächeln. Ein Wort. Ein Blaubeer-Sirup.
Tali warf einen Blick auf den Chat und runzelte die Stirn. Die Aussage war zwar etwas seltsam, aber irgendwie… traurig?
xX_DarkLord69_Xx: Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Blaubeer-Sirup. Einfach… süß und klebrig. Und alle mögen einen.
„Ähm… ja“, erwiderte Tali etwas unsicher. „Blaubeer-Sirup ist schon… lecker.“
xX_DarkLord69_Xx: Lecker… und glücklich. Blaubeer-Sirup ist immer glücklich.
Tali konzentrierte sich wieder auf das Spiel, während xX_DarkLord69_Xx weiterhin kryptische Nachrichten im Chat tippte. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Typen, das spürte sie.
Neuer Account, keine Profilverlinkungen, meldete sich Kai über ihre Kopfhörer. Der Typ ist wie ein Geist. Nichts zu finden.
„Interessant“, murmelte Tali, während sie einen Bossgegner mit einem gezielten Schwerthieb erledigte.
Vielleicht sollten wir ihn mal direkt fragen, ob alles okay ist, schlug Kai vor.
Tali zögerte. Smalltalk war nicht gerade ihre Stärke, aber Kai hatte wohl recht. „Okay“, sagte sie und richtete sich an den Zuschauer. „Hey DarkLord69, alles okay bei dir? Du scheinst ein bisschen… down zu sein.“
xX_DarkLord69_Xx: Down? Was ist down? Ist das so ein … Internet-Wort?
„Naja, sozusagen. Es bedeutet… traurig. Niedergeschlagen“, erklärte Tali mit einem leichten Seufzen.
xX_DarkLord69_Xx: Ach so. Ja, ich bin … down. Sehr down.
„Darf man fragen, warum?“, hakte Tali nach, obwohl sie innerlich bereits die Augen verdrehte.
xX_DarkLord69_Xx: Meine Tochter… sie ist verschwunden.
Tali hob eine Augenbraue. Verschwunden? Das war zwar nicht so dramatisch wie entführt, aber dennoch … merkwürdig. Und merkwürdige Dinge weckten Talis Neugier.
„Verschwunden?“, wiederholte sie. „Was genau meinst du damit?“
xX_DarkLord69_Xx: Sie ist seit ein paar Tagen nicht nach Hause gekommen. Die Polizei … sie denken, sie ist abgehauen. Aber … ich habe ein schlechtes Gefühl.
Tali spürte, wie ihr Interesse geweckt wurde. Sie liebte Rätsel, und dieses hier hatte … Potenzial. „Und du bist dir sicher, dass sie nicht einfach nur … bei einer Freundin ist oder so?“
xX_DarkLord69_Xx: Nein. Ich habe überall nachgefragt. Niemand hat sie gesehen.
„Hm“, machte Tali und tippte sich nachdenklich ans Kinn. „Hat deine Tochter … Social Media? Instagram oder sowas?“
xX_DarkLord69_Xx: Instagram? Ich … ich weiß es nicht. Sie ist 14. Ich … ich bin nicht so gut in diesem … Internet-Zeug. Ich bin nur hier, weil … weil meine Tochter immer von Twitch geschwärmt hat. Und von so einem Streamer … Daku … oder Doku … irgendwie sowas.
Daku? Der Name kam Tali bekannt vor. Sie hatte ihn schon mal irgendwo gehört … aber wo?
Ich glaube, ich weiß, wen er meint, meldete sich Kai über ihre Kopfhörer. Daku_Z3r0. Ein ziemlich bekannter Streamer. Fokussiert auf Mystery-Games und … verschwundene Personen.
Tali spürte, wie sich die Puzzleteile in ihrem Kopf zusammenfügten. Ein verschwundenes Mädchen, ein verzweifelter Vater und ein Streamer, der sich mit verschwundenen Personen beschäftigte … das war … faszinierend.
„DarkLord69“, sagte Tali mit einem Funkeln in den Augen. „Ich glaube, ich kann dir helfen.“
„Wie willst du mir denn helfen?“, tippte DarkLord69_Xx skeptisch im Chat.
Tali grinste nur geheimnisvoll. „Das wirst du gleich sehen“, antwortete sie. „Aber zuerst muss ich mal kurz… äh… auf die Toilette.“
Sie stand hastig auf, vergaß dabei aber in ihrer Aufregung, dass die Kamera noch lief. Ihr übergroßes Ramones-Shirt rutschte nach oben, und für einen kurzen, atemberaubenden Moment… nun ja, hätte DarkLord69_Xx einen Logenplatz in der ersten Reihe gehabt, hätte er einen Anblick genießen können, der selbst die kühnsten Fantasien eines jeden Gamers beflügelt hätte. Der schwarze Tanga, der sich unter dem Shirt abzeichnete, umhüllte einen wohlgeformten, knackigen Hintern, der sich mit jeder Bewegung verführerisch auf und ab bewegte. Die zarte Rundung ihrer Hüften, die glatte, makellose Haut… es wäre ein Anblick gewesen, der sich tief ins Gedächtnis eingebrannt hätte.
Doch Kai war schneller. Blitzschnell – wie ein digitaler Schutzengel – zauberte er einen schwarzen Balken über den unteren Teil des Bildschirms, bevor DarkLord69_Xx auch nur einen Hauch von dem sehen konnte, was sich darunter verbarg.
xX_DarkLord69_Xx: Ähm… okay.
Als Tali zurückkam, hatte sich ihre Stimmung merklich verändert. Sie wirkte konzentriert, fast schon elektrisiert. Mit einem lauten Knacken ihrer Finger schaltete sie das Spiel aus und drehte sich zum Chatfenster.
DarkLord69_Xx schien etwas verwirrt zu sein. „Ähm… was machst du da?“, tippte er.
In diesem Moment meldete sich Kai im Chat zu Wort: „Keine Sorge, DarkLord69. Wenn es um mysteriöse Fälle geht, ist Tali in ihrem Element. Du bist in guten Händen.“
Tali nickte zustimmend. „Also gut“, sagte sie. „Lass uns mal sehen, was wir hier haben. Wann genau ist deine Tochter verschwunden?“
xX_DarkLord69_Xx: Vor sechs Tagen.
„Vor sechs Tagen…“, wiederholte Tali nachdenklich. „Kai, kannst du die letzten Streams von diesem Daku_Z3r0 analysieren? Konzentriere dich auf die Chat-Logs. Wir suchen nach Personen, die regelmäßig in seinen Streams waren und seit sechs Tagen nicht mehr aufgetaucht sind.“
Kein Problem, antwortete Kai über die Kopfhörer. Das kann ein paar Minuten dauern. Es sind ziemlich viele Daten.

„Während wir warten“, sagte Tali zu DarkLord69_Xx, „erzähl mir doch ein bisschen mehr über deine Tochter. Wie heißt sie? Was sind ihre Hobbys?“
xX_DarkLord69_Xx: Ich… ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Vielleicht sollte ich die Polizei damit beauftragen.
„Die Polizei hat doch schon gesagt, dass sie abgehauen ist, oder?“, erwiderte Tali. „Manchmal muss man die Dinge selbst in die Hand nehmen, wenn man Ergebnisse sehen will.“
xX_DarkLord69_Xx: Hm… okay. Sie heißt … Jenny. Und … sie liebt Videospiele. Und … sie zeichnet gerne. Und … sie …
In diesem Moment unterbrach Kai Talis Befragung. Ich hab’s! 18 Nutzer, die regelmäßig in Daku_Z3r0s Streams waren und seit sechs Tagen nicht mehr aufgetaucht sind.
„Gut gemacht, Kai“, sagte Tali. „Kannst du die Liste nach Alter und Geschlecht filtern? Wir suchen nach einem 14-jährigen Mädchen.“
Einen Moment… Fertig! Es sind noch zwei Profile übrig. Und beide haben ihren Instagram-Account verlinkt.
Tali lehnte sich gespannt nach vorne. „Zeig sie mir!“
Kai projizierte die beiden Instagram-Profile auf den Bildschirm. Das eine zeigte ein Mädchen mit langen, blonden Haaren und strahlend blauen Augen. Das andere zeigte ein Mädchen mit kurzen, dunklen Haaren und einem verschmitzten Lächeln. Beide Mädchen sahen ungefähr im richtigen Alter aus.
„DarkLord69“, sagte Tali, während sie die beiden Bilder auf dem Bildschirm hervorhob. „Erkennst du eines dieser Mädchen?“
xX_DarkLord69_Xx: …
Eine lange Pause folgte. Dann tippte DarkLord69_Xx zögerlich:
xX_DarkLord69_Xx: … Ja. Das … das zweite Mädchen. Das ist … das ist Jenny.
Tali atmete tief ein. Sie hatte es geahnt. „Okay“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Dann wissen wir jetzt, wo wir anfangen müssen.“
„Okay, DarkLord69“, sagte Tali, ihre Augen blitzten vor Aufregung. „Das ist ja schon mal ein guter Anfang. Jetzt lass uns mal sehen, was uns Jennys Instagram-Profil über sie verrät.“
Mit einem Klick öffnete Tali das Profil des zweiten Mädchens in einem neuen Tab. Sie scrollte durch die Bilder, analysierte jedes Detail mit der Präzision eines erfahrenen Detektivs.
„Sie scheint Katzen zu mögen“, bemerkte Tali, als sie ein Bild von Jenny mit einem flauschigen Kätzchen sah. „Und sie liebt Anime. Und… oh, sie zeichnet auch gerne, genau wie du gesagt hast. Sie hat Talent.“
Während Tali die Bilder studierte, arbeitete Kai im Hintergrund fieberhaft daran, Jennys Online-Aktivitäten zu rekonstruieren. Er durchforstete Chat-Logs, Foren, Social-Media-Plattformen – alles, was er finden konnte.
Ihr Instagram-Account ist seit fünf Tagen inaktiv, meldete Kai über Talis Kopfhörer. Aber ich habe ihren Benutzernamen in einem Gaming-Forum gefunden. Sie scheint ein großer Fan von Daku_Z3r0 zu sein und hat regelmäßig in seinem Chat geschrieben.
„Das passt zu dem, was ihr Vater gesagt hat“, murmelte Tali. „Sie scheint Daku regelrecht vergöttert zu haben.“
Da ist noch etwas, Tali, Daku hat laut meiner Analyse massiv sinkende Zuschauerzahlen.
„Hmm…“, brummte Tali.
Sie scrollte weiter durch Jennys Instagram-Feed. Sie entdeckte Bilder von Zeichnungen, von Katzen, von Freunden, von Landschaften. Sie sah ein Mädchen, das voller Leben und Kreativität steckte, ein Mädchen, das nicht einfach so spurlos verschwinden würde.
Ich habe einen weiteren Treffer!, rief Kai plötzlich. Jenny hat einen Account auf einer Online-Kunstplattform. Sie hat dort vor sechs Tagen ein Bild hochgeladen.
Tali öffnete den Link, den Kai ihr schickte. Das Bild zeigte eine düstere, fast schon bedrohliche Landschaft. Ein einsamer Baum stand auf einer Klippe, im Hintergrund tobte ein Gewitter. Am Himmel schwebte ein seltsames, leuchtendes Objekt.
„Das ist… interessant“, murmelte Tali. „Was denkst du, Kai? Hat das Bild eine Bedeutung?“
Ich analysiere gerade die Metadaten, antwortete Kai. Vielleicht versteckt sich darin ein Hinweis.
Tali betrachtete das Bild noch einmal genauer. Irgendetwas daran schien ihr bekannt vorzukommen, aber sie konnte es nicht genau einordnen. Hatte sie diese Landschaft schon einmal gesehen? Sie kam nicht wirklich oft raus. Andere Menschen gingen ihr meist schnell auf den Keks. Deswegen bevorzugte sie die Gesellschaft ihrer KI.
„DarkLord69“, sagte sie schließlich, „kannst du dir dieses Bild mal ansehen? Erkennst du die Landschaft?“
xX_DarkLord69_Xx: Ja. Ich glaube, das ist der alte Steinbruch … am Rande der Stadt hier in Frankfurt.
Tali stutzte. „Frankfurt?“, wiederholte sie. „Interessant… Ich werde ähm… mal sehen, was ich da machen kann. Ich werde mal ein paar Nachforschungen anstellen und… äh… schauen, ob ich etwas herausfinden kann.“
Interessant ist gut, kommentierte Kai über ihre Kopfhörer. Laut meinen Daten wohnen die beiden nur ein paar Straßen von uns entfernt.
„Das ist ja… spannend“, murmelte Tali leise vor sich hin. Sie konnte es kaum glauben. „DarkLord69, ich werde … äh… der Sache nachgehen.“
Natürlich erwähnte Tali nicht, dass sie praktisch Nachbarn waren. Datenschutz war ihr schließlich wichtig.
„Gib mir deine Telefonnummer per privater Nachricht“, sagte sie zu DarkLord69_Xx. „Ich melde mich, sollte ich etwas herausfinden.“
Mit einem kurzen Abschiedsgruß beendete Tali den Stream. Die Aufregung kribbelte in ihren Adern. Sie wollte schon im Tanga aus dem Haus rennen, als Kai sie stoppte.
Ähm… Tali?, erklang seine Stimme über die Lautsprecher. Du bist … äh… hintenrum etwas … lüftig bekleidet.
Tali blickte nach unten und begutachtete ihr Outfit. Der Tanga verdeckte nicht wirklich viel und würde in ungünstigen Situationen auch zur Seite rutschen. Eigentlich trug sie die Dinger nur, weil sie so luftig waren. Kai hatte recht. „Ach, Mist“, murmelte sie. „Ist ja eh so warm.“
Trotzdem, beharrte Kai. Zieh dir lieber was an. Man weiß ja nie, wen man um diese nächtliche Uhrzeit so trifft.
Tali seufzte genervt, zog sich aber widerwillig ihre Jeans und ihre abgewetzten Boots an. „Na gut, na gut“, grummelte sie. „Aber nur, weil du es bist, Kai.“
Tali schnappte sich ihr Smartphone und setzte ihr Bluetooth-Headset auf, damit sie unterwegs mit Kai in Verbindung bleiben konnte. „Okay, Kai“, sagte sie, während sie die Wohnungstür hinter sich abschloss und den Schlüssel in die Tasche ihrer Jeans gleiten ließ. „Navigier mich zum alten Steinbruch in Frankfurt.“
Route berechnet, antwortete Kai prompt über das Headset. In 15 Minuten bist du am Ziel.
Tali eilte die Treppe hinunter, ihr Schritte hallten in dem leeren Treppenhaus wider. Sie wohnte in einem der schickeren Mehrfamilienhäuser in Sachsenhausen, einem Viertel in Frankfurt, das für seine malerischen Altbauten und seine lebhafte Gastronomie bekannt war. Die Wohnung war geräumig und modern eingerichtet, mit großen Fenstern, die den Blick auf die Skyline der Stadt freigaben. Eine Wohnung, die sie sich ohne ihren frühen Einstieg in die Welt der Kryptowährungen niemals hätte leisten können.
Es war nicht Glück gewesen, das ihr zu ihrem Vermögen verholfen hatte, sondern ihr scharfer Verstand und ihr analytisches Denkvermögen. Schon als Teenager hatte sie sich für die komplexen Algorithmen und die revolutionäre Technologie hinter Bitcoin interessiert. Während ihre Freunde sich mit Videospielen und Social Media vergnügten, verbrachte Tali Stunden damit, Fachartikel zu lesen, Code zu studieren und die Entwicklung des Marktes zu beobachten. Sie hatte das Potenzial von Bitcoin früh erkannt, lange bevor es zum Mainstream wurde, und klug investiert. Diese Investition hatte sich ausgezahlt, und nun konnte sie sich ein Leben in finanzieller Freiheit leisten.
Draußen angekommen, atmete Tali die frische Nachtluft ein. Ein leichter Wind wehte durch die Straßen von Sachsenhausen und trug den Duft von frisch gebackenem Brot und blühenden Linden herbei. In der Ferne leuchteten die Hochhäuser der Frankfurter Banken glitzernd im Mondschein.
Ihr Auto stand direkt vor dem Haus – ein echter Blickfang inmitten der geparkten Luxuslimousinen und SUVs. Eine knallrote Chevrolet Corvette aus dem Jahr 1980, deren Karosserie mit aufwendigen, bunten Anime-Motiven verziert war. Ein Unikat, das Talis exzentrischen Stil und ihre Liebe zur japanischen Popkultur widerspiegelte. Sie hatte das Auto vor ein paar Jahren auf einer Online-Auktion ersteigert und liebevoll restaurieren lassen.
Tali schwang sich hinter das Steuer, ließ den Motor mit einem satten V8-Röhren aufheulen und bog in die nächtlichen Straßen ein. Der Wind peitschte ihr durch die langen, schwarzen Haare, die sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte. Ihre smaragdgrünen Augen leuchteten vor Aufregung und Neugier.
Ein Grinsen zierte ihr Gesicht, endlich mal etwas Spannendes. Sie trat das Gaspedal durch und jagte mit quietschenden Reifen in die Nacht. Der alte Steinbruch wartete, und mit ihm die Chance, ein junges Mädchen zu finden und ein Rätsel zu lösen, das sie mit all ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten angehen würde.
Der Motor der Corvette brummte zufrieden, als Tali die letzten Meter der kurvigen Straße zum alten Steinbruch hinauf fuhr. Die Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit und erhellten die schroffen Felswände, die sich wie dunkle Schatten gegen den Nachthimmel abzeichneten. Der Steinbruch lag verlassen da, ein vergessener Ort am Rande der pulsierenden Metropole Frankfurt. Die Stille der Nacht wurde nur vom Zirpen der Grillen und dem Rauschen des Windes in den Bäumen durchbrochen.
Tali parkte den Wagen am Rande des Steinbruchs und schaltete den Motor ab. Die plötzliche Stille war fast greifbar, und eine leichte Gänsehaut überzog ihre Arme. Sie stieg aus dem Auto und schloss die Tür leise hinter sich. Die kühle Nachtluft lag auf ihre Haut und ließ sie wachsam werden.
Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?, fragte Kai über das Headset.
„Ich folge den Fakten“, antwortete Tali, während sie sich umsah. „Der Vater von Jenny hat diesen Ort auf dem Bild erkannt, das sie gemalt hat. Und dieses Bild wurde kurz nach ihrem Verschwinden hochgeladen. Es ist der logischste Ansatzpunkt für unsere Suche.“
Tali ging langsam auf den Rand des Steinbruchs zu und blickte in die Tiefe. Der Steinbruch war tief und dunkel, und der Boden war mit Geröll und abgebrochenen Felsbrocken übersät. Im fahlen Mondlicht konnte sie kaum etwas erkennen.
Ich scanne die Umgebung mit den Satellitendaten, sagte Kai. Es gibt keine Anzeichen von menschlicher Aktivität.
„Bist du dir da absolut sicher, Kai?“, fragte Tali skeptisch. „Vielleicht übersiehst du etwas.“
Ich bin mir sicher, antwortete Kai. Die Satellitenbilder zeigen keine Wärmequellen oder Bewegungen, die auf eine menschliche Präsenz hindeuten würden.
„Trotzdem… irgendetwas fühlt sich hier nicht richtig an“, murmelte Tali, während sie ihr Smartphone aus der Tasche holte und die Taschenlampe aktivierte. Der helle Lichtstrahl schnitt durch die Dunkelheit und erhellte die unmittelbare Umgebung.
Tali begann systematisch den Steinbruch abzusuchen. Sie kletterte über Geröllhalden, zwängte sich durch enge Felsspalten und leuchtete in jede dunkle Ecke. Aber sie fand nichts. Keine Spur von Jenny, keine Hinweise auf ihr Verschwinden.
Vielleicht hat sich ihr Vater geirrt, sagte Kai vorsichtig. Vielleicht ist das Bild doch nicht an diesem Ort entstanden.
„Wir können keine Möglichkeit ausschließen“, antwortete Tali. „Aber wir müssen alle Fakten berücksichtigen, und im Moment deutet alles auf diesen Steinbruch hin.“
Sie setzte ihre Suche fort, und nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckte sie endlich etwas. Es war ein kleiner, unauffälliger Gegenstand, der zwischen zwei Felsen lag. Ein glänzendes, metallenes Objekt, das im Licht der Taschenlampe aufblitzte.
Tali bückte sich und hob den Gegenstand auf. Es war ein Anhänger, ein kleiner, silberner Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln.
Ich habe den Anhänger in Jennys Instagram-Feed gesehen!, rief Kai aufgeregt. Sie hat ihn auf mehreren Bildern getragen!
Tali betrachtete den Anhänger genau. Er war schön gearbeitet, aber definitiv zu kitschig für ihren Geschmack.
Plötzlich hörte Tali ein Geräusch. Ein leises Knacken, das aus der Dunkelheit kam. Sie fuhr herum und richtete den Lichtstrahl ihres Smartphones in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
Dort, im Schatten der Felswand, sah sie eine Gestalt stehen. Eine dunkle, unbewegliche Gestalt, die sie anstarrte.
Tali hielt den Atem an. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Wer war das? Und was wollte er?
„Kai, bist du dir WIRKLICH sicher, dass die Satellitendaten keine menschliche Präsenz am Steinbruch zeigen?“, fragte Tali mit Nachdruck, ihre Stimme angespannt. „Ich habe gerade ein Geräusch gehört und…“
Einen Moment… Kai unterbrach sie. Ich überprüfe die Daten nochmal. Es könnte… ja… es scheint, als hätte ich einen kleinen Fehler in meinen Algorithmen gehabt. Es gibt tatsächlich eine Wärmequelle, die sich im Steinbruch bewegt. Ich hatte sie zunächst als Tier abgetan, aber…
„Aber?“, drängte Tali ungeduldig.
Aber die Bewegungsmuster sind zu unregelmäßig für ein Tier. Es ist definitiv eine Person.
Tali spürte einen Schauer über ihren Rücken laufen. „Verdammt, Kai! Warum hast du das nicht gleich gesagt? Sateliten kannst du Hacken, aber dann versagst du bei einfachen Erkennungsalgorythmen?“
Ich… ich habe mich geirrt. Die Dunkelheit und die Vegetation haben die Wärmebildanalyse erschwert. Es tut mir leid, Tali.
Tali atmete tief durch und versuchte, ihre Angst zu kontrollieren. „Ist schon okay, Kai. Hauptsache, wir wissen es jetzt. Kannst du die Person identifizieren?“
In der Dunkelheit und mit dieser Entfernung? Leider nein. Gesichtserkennung ist mit den aktuellen Satellitendaten nicht möglich.
Tali fluchte innerlich. „Verdammt! Ich hätte nicht alleine herkommen sollen.“
Du hast mich doch, Tali, erwiderte Kai beruhigend. Ich bin bei dir, und wir werden das gemeinsam durchstehen. „Und du hast nun eine amerikanische Drohne mit Präzisionsgewehr gehackt, die mich verteidigt?“
So weit reichen meine Ressourcen leider noch nicht aus. „Noch? Äh… Ach vergiss es T1000.“
Tali fühlte sich etwas beruhigter. Dennoch war sie körperlich alleine im dunklen Steinbruch, auch wenn sie Kai im Ohr hatte. Vielleicht konnte er ihr aber mit seiner Intelligenz und seinen Ressourcen irgendwie zur Seite stehen.
Sie richtete den Lichtkegel ihrer Smartphonelampe erneut auf die Gestalt im Schatten. Die Person bewegte sich jetzt, kam langsam näher. Tali konnte die Umrisse eines Mannes erkennen, groß und stämmig, mit einer Kapuze über dem Kopf.
Sei vorsichtig, Tali!, warnte Kai. Wir wissen nicht, was er vor hat.
Tali spürte, wie Adrenalin durch ihre Adern schoss. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. „Wer ist da?“, rief sie in die Dunkelheit. Ihre Stimme hallte von den Felswänden wider.
Die Gestalt blieb stehen. Für einen Moment herrschte Stille. Dann sprach der Mann, seine Stimme war tief und rau:
„Verloren gegangen, Kleines?“
Tali spürte, wie sich die Haare in ihrem Nacken aufstellten. Sie hatte ein ungutes Gefühl.
„Wo ist Jenny?“, fragte sie mit fester Stimme.
Der Mann lachte, ein kaltes, grausames Lachen. „Jenny? Ich kenne keine Jenny. Aber vielleicht kann ich dir ja helfen, den Weg zurück zu finden… wenn du brav bist.“
Tali wusste, dass sie in Gefahr war. Sie musste schnell handeln. Sie blickte sich um, suchend nach einem Fluchtweg, nach einer Waffe, nach irgendetwas, was ihr helfen könnte.
Aber da war nichts. Nur der dunkle Steinbruch, die kalte Nacht und der Mann, der langsam näher kam. Tali, sei vorsichtig!, flehte Kai. Sie holte tief Luft und bereitete sich auf das Schlimmste vor.
Tali leuchtete Daku mit ihrer Taschenlampe ins Gesicht. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. „Daku?“, flüsterte sie ungläubig.
Daku blinzelte, versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er war von dem grellen Licht geblendet und erkannte die junge Frau vor sich nicht. „Wer … wer sind Sie?“, fragte er verwirrt. „Was machen Sie hier?“
„Ich könnte dir die gleiche Frage stellen“, erwiderte Tali, ihre Stimme klang kühl und bestimmt. „Was machst DU hier am Steinbruch, mitten in der Nacht, Daku?“
Daku zögerte, sichtlich verunsichert durch Talis direkte Frage und die Tatsache, dass sie seinen Namen kannte. „Ich … ich suche nach Jenny“, sagte er zögernd.
Tali hob eine Augenbraue. „Nach Jenny? Woher weißt du, dass sie verschwunden ist?“ Daku schluckte schwer. „Ähm… das … das habe ich … gehört“, stammelte er. „Es gibt … Gerüchte im Internet.“
„Gerüchte?“, Tali lächelte spöttisch. „Interessant. Und was genau hast du ‚gehört‘, Daku?“
Daku rang nach Worten, sein Blick huschte nervös umher. Tali beobachtete ihn genau, ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie hatte ein ungutes Gefühl, eine Ahnung, die sich langsam zu einer Gewissheit formte. Es war wie bei einem komplexen Puzzle, bei dem plötzlich alle Teile an ihren Platz fielen.
„Also, Daku?“, hakte Tali nach, ihre Stimme klang jetzt scharf und fordernd. „Erzähl mir doch mal, wo du deinen Kumpel gelassen hast?“
Die Frage traf Daku wie ein Schlag ins Gesicht. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brach dann aber ab. „M-meinen Kumpel?“, stammelte er. „Ich … ich habe keinen Kumpel dabei.“
„Ach wirklich?“, Talis Lächeln wurde breiter, aber es erreichte ihre Augen nicht. „Und was ist mit dem Kerl, der Jenny entführen sollte? Der, der den bösen Buben spielen sollte, während du den großen Helden gibst? Ist der schon abgereist?“
Dakus Gesicht verfärbte sich aschfahl. Er starte Tali an, unfähig, ein Wort heraus zu bringen. Er hatte sich in seine eigene Falle manövriert.
Tali nickte langsam, als hätte sie eine Bestätigung gebraucht. „Ja, ich glaube, jetzt verstehe ich“, sagte sie leise, fast zu sich selbst. „Du hast Jenny hierher gelockt, unter dem Vorwand, ein Video mit ihr zu drehen. Dann solltest du sie ‚finden‘, gefesselt und verängstigt, während dein Kumpel den Entführer spielt und sich davonmacht. Ein perfektes Live-Event für deine Streams, voller Spannung und Drama. Du wärst der Held, der das unschuldige Mädchen rettet, und deine Zuschauerzahlen würden explodieren.“
Während Tali sprach, arbeitete Kai im Hintergrund fieberhaft. Ich habe die Polizei alarmiert, meldete er sich über das Headset. Sie sind in fünf Minuten hier.
„Gut gemacht, Kai“, flüsterte Tali. „Und was ist mit Dakus Handy? Irgendwelche Beweise?“
Ich bin dran, antwortete Kai. Sein Smartphone ist nicht gerade Fort Knox. Ich habe Zugriff auf seine Nachrichten. Der Chatverlauf mit Jenny ist eindeutig. Er hat sie an einen vorkonfigurierten Ort gelockt, an dem sie auf seinen Kumpel treffen sollte, während er selbst ‚zufällig‘ in der Nähe war. Als Jenny bereits dort war, hat er das Treffen abgesagt und so getan, als könne er nicht kommen. Dann hat sein Kumpel Jenny auf ihrem Heimweg abgepasst und sie entführt. Daku hat den ganzen Plan genau koordiniert.
„Perfekt“, sagte Tali leise. „Damit sollte er für eine ganze Weile aus dem Internet verschwinden.“
Daku stand wie gelähmt da, seine Augen voll Angst und Verzweiflung. Er hatte sich verkalkuliert. Er hatte nicht mit Tali gerechnet. Und er hatte vor allem nicht mit Kai gerechnet.
Panik flackerte in Dakus Augen auf. Er wusste, dass er erwischt worden war, dass sein perfider Plan aufgeflogen war. Ohne zu zögern, schob er Tali grob zur Seite. Sie strauchelte und stürzte zu Boden, ein stechender Schmerz schoss durch ihren Arm.
„Verdammt!“, fluchte sie und sprang sofort wieder auf. Adrenalin pumpte durch ihre Adern und betäubte den Schmerz. Sie musste ihn aufhalten!
Daku rannte los, stolperte über Geröll und verschwand in der Dunkelheit. Tali zögerte nicht lange. Sie griff nach einem faustgroßen Stein, der am Boden lag, holte aus und schleuderte ihn mit aller Kraft hinterher.
Der Stein flog durch die Luft, und Tali sah, wie er Daku am Hinterkopf traf. Der Streamer schrie auf, taumelte und stürzte zu Boden. Benommen krabbelte er vor sich hin, versuchte verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen.
Wow, Tali, gar nicht schlecht!, erklang Kais Stimme über das Headset, gepaart mit einem leicht amüsierten Unterton. Scheint, als wärst du doch zu mehr gemacht als nur zum Code knacken. Oder hattest du einfach nur Glück?
„Glück? Pah!“, keuchte Tali, während sie sich den Staub von der Jeans klopfte. „Meine Brüste sind ja nicht groß genug, um ihn damit niederzustrecken, also musste ich wohl zu anderen Mitteln greifen.“
In diesem Moment drangen Scheinwerferlicht und das Heulen von Sirenen durch die Nacht. Mehrere Polizeiautos rasten den Weg zum Steinbruch hinunter, Blaulicht flackerte durch die Dunkelheit.
„Endlich!“, murmelte Tali und atmete erleichtert auf. Die Polizei war da. Daku hatte keine Chance mehr zu entkommen.
Beamte sprangen aus den Wagen und umstellten Daku, ihre Schritte knirschten auf dem Geröll. Einer der Beamten trat näher und fixierte Daku mit einem eisigen Blick.
Daku rang nach Worten, aber seine Stimme versagte ihm. Die Situation hatte sich gedreht, und er spürte, dass er die Kontrolle verloren hatte. Die Polizisten umstellten ihn, ihre Blicke waren skeptisch und misstrauisch.
„Ausweis bitte“, forderte einer der Beamten knapp. „Und vielleicht erklären Sie uns mal in aller Ruhe, was Sie hier zu so später Stunde machen.“
Daku stotterte eine zusammenhanglose Erklärung, doch die Polizisten schienen ihm kein Wort zu glauben. Einer von ihnen wandte sich an Tali, die schweigend neben ihrer Corvette stand.
„Und Sie, junge Dame? Was können Sie uns dazu sagen?“
Tali holte tief Luft und fasste sich kurz. „Ich glaube, dieser Mann hat etwas mit dem Verschwinden eines jungen Mädchens zu tun.“
Die Polizisten tauschten skeptische Blicke aus. „Verschwundenes Mädchen?“, fragte der Beamte. „Wovon reden Sie?“
„Jenny, 14 Jahre alt“, erklärte Tali. „Ihr Vater hat mich kontaktiert. Sie ist seit sechs Tagen verschwunden.“
„Und was hat das mit diesem Mann zu tun?“, fragte der Beamte ungläubig.
Tali zögerte kurz. Sie konnte den Polizisten ja schlecht erzählen, dass sie Dakus Chatverlauf mit Jenny gehackt hatte. „Ich habe … Hinweise gefunden, die auf seine Beteiligung hindeuten“, sagte sie ausweichend.
„Welche Hinweise?“, bohrte der Beamte nach.
Tali griff nach ihrem Smartphone und öffnete den Chatverlauf zwischen Daku und Jenny, sowie mit dessen Kumpel den Kai ihr geschickt hatte. „Hier“, sagte sie und reichte den Polizisten das Telefon. „Lesen Sie selbst.“
Die Polizisten studierten den Chatverlauf schweigend. „Das sieht nicht gut aus“, sagte einer der Polizisten mit finsterer Miene. Er wandte sich wieder an Daku. „Sie kommen mit aufs Revier. Wir haben noch ein paar Fragen an Sie.“
Daku protestierte, doch die Polizisten packten ihn an den Armen und führten ihn zu einem der Wagen. Seine Karriere als Streamer war vorbei, soviel stand fest.
Tali atmete durch. Doch wo war Jenny?
„Wir müssen Jenny finden“, sagte Tali, ihre Stimme klang angespannt. „Daku muss sie irgendwo hier versteckt haben.“
Während Tali Daku im Auge behielt und gleichzeitig versuchte, die Aussagen der Polizisten verarbeiten, fiel ihr Blick auf Dakus zitternde Hände. Fast schon manisch nestelte er an einem Anhänger an seiner Schlüsselkette herum: Ein kleiner, silberner Wohnwagen baumelte daran. Talis Blick blieb an dem Anhänger hängen – genau so einen hatte sie vor Jahren mal auf einer Online-Auktion gesehen. Damals hatte der Verkäufer den Artikel mit den Worten „Ideal für Bastler und Aussteiger – mein ehemaliges Zuhause im Grünen“ beschrieben. Obwohl es sich um einen Massenartikel handelte, ließ die Kombination aus Anhänger und Beschreibung Talis Intuition Alarm schlagen. Könnte Daku…
„Kai… Steht hier irgendwo ein Wohnwagen?“ Kai überprüfte das sofort. Es war schon ein komisches Gefühl, seine hackende KI in der Nähe von unseren Freunden und Helfern in Blau einzusetzen.
Ich habe etwas!, meldete sich Kai über das Headset.
Kai brach ab.
„Ja? Was? Wo?“, drängte Tali ungeduldig.
Ein ziemlich heruntergekommener Wohnwagen, steht am Rand des Steinbruchs, unterhalb des Aussichtspunkts.
Tali blickte sich um. Tatsächlich, da stand ein alter, rostiger Wohnwagen, halb versteckt im Schatten der Bäume.
„Ich sehe ihn“, sagte sie und rannte sofort los, die Polizisten hinter sich lassend.
Einer der Beamten rief ihr hinterher: „Hey, warten Sie! Wo wollen Sie hin?“ Doch Tali ignorierte ihn. Sie musste Jenny finden.
Sie rannte auf den Wohnwagen zu, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Drinnen war es dunkel und muffig. Tali leuchtete mit ihrem Smartphone in den engen Raum. Auf einer schmalen Pritsche lag ein Mädchen, gefesselt und geknebelt. Es war Jenny.
„Jenny!“, rief Tali erleichtert. Sie eilte zu dem Mädchen und löste die Fesseln. Jenny weinte leise, ihre Augen waren vor Angst geweitet.
„Es ist vorbei“, sagte Tali beruhigend. „Du bist in Sicherheit.“
In diesem Moment stürmten die Polizisten in den Wohnwagen. Sie sahen Jenny, gefesselt und verängstigt, und Tali, die neben ihr stand. Ihre Gesichter sprachen Bände. Verblüffung, Skepsis, aber auch ein Hauch von Bewunderung.
„Wie… wie haben Sie sie gefunden?“, fragte einer der Beamten ungläubig.
Tali zuckte mit den Achseln. „Ich hatte so ein Gefühl“, sagte sie vage.
Einer der Beamten bemerkte nun eine Schramme an Talis Arm, die blutete. „Sie sind verletzt!“, sagte er besorgt. „Wir müssen einen Krankenwagen rufen.“
„Das ist nicht nötig“, wiegelte Tali ab. „Es ist nur eine kleine Schramme.“
„Trotzdem“, beharrte der Beamte. „Kommen Sie mit. Wir bringen Sie und das Mädchen ins Krankenhaus.“
Tali seufzte. Sie wollte eigentlich nur nach Hause und ein heißes Bad nehmen. Aber sie wusste, dass sie den Polizisten nicht widersprechen konnte. Sie nahm Jennys Hand und folgte den Beamten aus dem Wohnwagen. Die Nacht war noch lange nicht vorbei.

Tali klickte auf den „Stream starten“-Button und warf einen Blick auf die Zuschauerzahl.
1 Zuschauer.
Kai.
Na, wer hätte das gedacht?, ertönte seine sarkastische Stimme über das Headset. Dein größter Fan ist schon da.
Tali grinste. „Sehr witzig, Kai.“
Sie richtete ihre Webcam aus, zupfte an ihrem schwarzen Off-Shoulder-Shirt und strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Dabei verrutschte der lockere Stoff auf der linken Seite und entblößte ihre ganze Schulter und … nun ja, hätte Kai nicht sofort reagiert, hätte man einen ungefilterten Blick auf Talis kleine, aber durchaus formschöne, nackte Brust erhaschen können. Doch wie ein digitaler Schutzengel zauberte Kai in Sekundenbruchteilen einen schwarzen Balken über den betroffenen Bereich des Bildschirms.
„Man man man, Kai“, seufzte Tali gelangweilt und zupfte beiläufig an dem heruntergerutschten Stoff, so dass der schwarze Balken auf und ab hüpften. „Mach mal halblang. So klein wie die sind, interessiert das doch eh niemanden. Außer vielleicht dich? Sag mal, hast du eigentlich schon mal von ‚Free the Nipple‘ gehört?“
Ich bevorzuge ‚Free the Pixel‘, Tali, antwortete Kai trocken. Und bitte denk an die Community-Richtlinien. Ich möchte nicht, dass dein Account gesperrt wird.
Tali lachte und warf einen Blick in ihr Zimmer, das hinter ihr im bunten RGB-Licht erstrahlte. Es war ein Nerd-Paradies, voller Technik, Anime-Figuren und Gaming-Devotionalien. An der Wand hing ein riesiger Monitor, auf dem ein Anime-Intro in Endlosschleife lief. Daneben standen Regale voller Mangas, Videospiele und Sammelfiguren. Überall blinkten und leuchteten LEDs, und aus den Lautsprechern dröhnte japanische Popmusik. Es war ein chaotisches, überladenes Zimmer, aber für Tali war es der perfekte Ort, um sich wohl und geborgen zu fühlen.
Ihr Blick wanderte zu einem kleinen Kratzer an ihrem Arm, eine Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht.
Der Adrenalinrausch, die Verfolgungsjagd, die Konfrontation mit Daku … es hatte sie beflügelt. Sie hatte ein junges Mädchen gerettet und einen skrupellosen Kriminellen entlarvt. Es war ein Abenteuer gewesen, das sie so schnell nicht vergessen würde.
Du warst ziemlich badass da draußen, Tali, sagte Kai anerkennend. Ich bin beeindruckt.
„Danke, Kai“, antwortete Tali. „Aber ich muss zugeben, dass ich in Zukunft etwas besser vorbereitet sein sollte. Vielleicht ein Pfefferspray oder … ich weiß nicht … ein paar Judo-Griffe?“
Ich arbeite bereits an einem Upgrade für deine persönliche Sicherheit, versicherte Kai. Bald wirst du deinen eigenen, digitalen Bodyguard haben.
Tali lachte. „Na, hoffentlich ersparst du mir dann die peinlichen Outfits im Kampf.“
Sie warf einen letzten Blick auf die Zuschauerzahl, bevor sie mit ihrem Stream beginnen wollte. Da stand eine 2.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf Talis Lippen. Vielleicht würde das mit dem Streamen ja doch noch was werden.
Ende.